Göttergeschichte der Germanen

Aus dem Buch: Die Kinder vom Sachsenhof

Als alle satt geworden waren, erzählte der Großvater wieder eine Geschichte von den Göttern. Es gab ja nicht nur Wodan, Donar und Freya. Baldur, der Hund, war nach einem Sohn Wodans benannt worden.  Ein weiterer Sohn war Saxnot, der Gott des Krieges. Sein Bruder war der blinde Gott Hödur. Und Sleipnir hieß ja auch das achtbeinige Pferd Wodans. Die Kinder liebten diese Geschichten. Swantje und Hildrun hörten lieber welche von Freya, während Otto und Willi sich immer wieder die Heldentaten von Wodan, Donar und Saxnot wünschten. „Großvater, erzähl uns von den Göttern!“, bettelten die Kinder oft. Der Alte ließ jedes Mal ein anderes Kind wählen, von wem die Geschichte handeln sollte. Auch Kalle durfte mitbestimmen, er mochte Baldur und Hödur am liebsten. Aber keiner von ihnen hörte gern die Geschichten von Hel, der Göttin der finsteren Unterwelt.

 


Des Hammers Heimholung

Eines Morgens bemerkte Donar mit Schrecken, dass sein Hammer fehlte. Vergebens durchsuchte er, wild sich den Bart raufend, alle Räume seines Hauses. 
  Da kam Loki, der listenreiche Gott, daher. Er konnte sein schadenfrohes Lächeln kaum verbergen, als ihm Donar sein Missgeschick erzählte.

Die Riesen werden ihn gestohlen haben
, versetzte Loki jedoch gleichmütig. Wenn du willst, werde ich bei ihnen nachforschen. Und Donar willigte ein.
Von Frigga, der Frau Wodans, entlieh sich der verschlagene Loki das Federgewand, flog nach Riesenheim und brachte schnell in Erfahrung, dass der Riese Thrym, der König der Unholde, den Hammer gestohlen und acht Meilen tief unter der Erde verborgen habe.  
Nur um einen Preis werde ich den Hammer herausgeben, rief der Riese hohnlachend; nur wenn Frigga, die schönste Göttin, meine Frau wird!  

thor.jpgAls Loki den Asen diese Forderung überbrachte, schrie Frigga auf vor Scham und Zorn, und in großer Sorge versammelten sich die Götter und hielten Rat; denn wenn Donar den Hammer nicht zurückerhielt, so drohte für Asgard der Untergang.
  Widerstrebend ließ Donar sich schließlich durch Wodans klugen Sohn Heimdall, der als Gott des Frühlichts auch der Wächter des Himmels ist, zu einer List überreden. Als Braut verkleidet, sollte er in Friggas Gewand und Schmuck nach Riesenheim ziehen und selber den Hammer holen. Loki, der verschlagene Gott, erbot sich, ihn als seine Dienerin zu begleiten.  

Voller Freude empfing der Riese Thrym die Braut, die tief verschleiert vor ihn trat. Er ließ sogleich ein Festmahl herrichten. Man nahm mit den Gästen in der Halle Platz und tat sich gütlich bei fettem Ochsenbraten und schäumendem Met. Mit Verwunderung sahen Thrym und seine Gäste, wie die vermeintliche Braut einen ganzen Ochsen, dazu acht Lachse verzehrte und drei Kufen Met hinuntergoss. 
 

Acht Tage lang hat meine Herrin nicht gegessen, so sehr quälte sie die Sehnsucht nach dir!
; sagte der kluge Loki zur Erklärung des seltsamen Gebarens.   Das hörte der Riese gern. Mit plumpen Fingern lüftete er ein wenig den Schleier, um das holde Antlitz der Braut zu sehen. Doch entsetzt fuhr er zurück vor den Augen, die wie loderndes Feuer blitzten.

Meine Herrin
, versetzte der als Magd verkleidete Loki, hat acht Nächte kein Auge geschlossen, so sehr verzehrte sie das Verlangen nach dir.
  

Solche Worte erfreuten Thrym sehr, darum rief er befehlend: Bringt jetzt den Hammer des mächtigen Donar!
  

Wie frohlockte Donar in seinem Herzen, als man ihm, der vermeintlichen Braut, feierlich den Hammer als Hochzeitsgabe in den Schoß legte!
  Mit ingrimmiger Wut ergriff er den Hammer, wog ihn in der Hand und schleuderte ihn gegen den Riesen Thrym, so dass dieser tot von seinem Sitz sank.   Ein wildes Getümmel erhob sich, als Donar nun mit dem Hammer Mjölnir auf die übrigen Riesen einhieb, bis keiner aus Thryms Geschlecht mehr am Leben war.    Der Himmel lachte und donnerte zugleich, als Donar und Loki vom rauhen Riesenheim hinauffuhren zu Asgards leuchtenden Höhen.